BOTTOM

Was beeinflusst unseren Sprachgebrauch?

 

 

Alltagssprache ist von vielfältigen Interessen beeinflusst, die sich nicht alle logisch, systematisch und bewusst erfassen lassen. Alltagsgespräche über allgemein beliebte Themen erlauben einen Meinungsaustausch mit Gleichgesinnten, in dem man auch Neuigkeiten erfahren will. Es gibt eine übermächtige Medienproduktion, die ihr Geschäft mit dieser menschlichen, allzumenschlichen Neugier macht. Wie groß der Einfluss der Meinungsmacher dabei ist, das können wir nur ahnen. Vor den Gefahren der von den Medien verbreiteten Gemeinplätze, Vorurteile oder eines aus Zeitmangel ungeprüften Pseudowissens, unter deren Einwirkung sich unkritische Nachrichtenkonsumenten ihre Meinung bilden, hat ja seit Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts Van Dijk (1984;1987;1988a;1991) gewarnt. Dabei hat er vor allem auf die Notwendigkeit der Hinterfragung einer Nachricht nach zugrunde liegenden kognitiven Repräsentationen und Nachrichtenstrategien des Journalisten sowie die zu erwartende Leserrezeption hingewiesen:

 

Die Diskursanalyse von Nachrichten ist nicht auf Textstrukturen begrenzt. Wir haben gesehen, dass diese Strukturen verschiedene zugrunde liegende Bedeutungen, Meinungen und Ideologien ausdrücken oder bezeichnen. Um zu zeigen wie diese zugrunde liegenden Bedeutungen sich auf den Text beziehen, benötigen wir eine Analyse des kognitiven, sozialen, politischen und kulturellen Kontexts. Der kognitive Ansatz geht davon aus, dass Texte an und für sich keine Bedeutung haben, sondern dass ihnen durch Sprecher einer Sprache Bedeutung verliehen wird, oder genauer gesagt durch die Gedankenleistung der Sprecher. In anderen Worten: Wir müssen die kognitiven Repräsentationen und Strategien der Journalisten, die Nachrichten erstellen sowie diejenigen der Leser, die sie verstehen und ins Gedächtnis aufnehmen, identifizieren.[1]

 

Im globalen Netz der Nachrichtenagenturen verlieren Informationen ihren Kontext oder werden meinungsbildend deformiert. Postman (1986) betont, dass die Vision Huxleys, die Wahrheit würde in einem Meer irrelevanter Informationen ertränkt, mehr denn je für unsere Zeit zutrifft.[2] Dabei spielt neben der unfassbaren Multiplikation von Informationen vor allem ihre Vermarktung durch die Unterhaltungsindustrie eine entscheidende Rolle. Eigentlich ist das perpetuum mobile der Informationsindustrie eine logische Konsequenz des sich rastlos drehenden Rads des technischen Fortschritts der Moderne, der sich schon vor Ford, mit dem Huxleys[3] Zeitrechnung der Moderne einsetzt, auch unserer Seele und unserer persönlichen Freiheit bemächtigt hat.

 

Wir geben die Wahrheit, die wir mit unseren eigenen Lebenserfahrungen errungen haben, als Faustpfand hin für eine leicht erschwingliche Wahrheit aus zweiter Hand, die außerdem den Vorteil hat, uns zu Teilhabern des anerkannten Wahrheitsmonopols zu machen. Für die Kommerzialisierung der Wahrheit hat dann die Verpackung vor dem Inhalt den Vorrang: Unansehnliche differenzierende Ausdrucksweise wird  von Schlagzeilen, Slogans, der Kreation aus Werbepoesie und semiotisch ausgeklügeltem Design ersetzt, die eine immer mehr vereinfachte und verallgemeinerte Sprache prägt, deren Worte wie Münzen leicht von Hand zu Hand gehen.

 

Ein kritischer Beobachter des Christian Science Monitor kommentiert den Missbrauch der schlagwortartigen Kettenbildung von Adjektiven im Englischen und zitiert ein typisches Beispiel:[4]

 

‘Police called to downtown East Oshkosh confronted anti-affirmative-action demonstrators as well as pro-children's-rights advocates, but did not interfere with the anti-mad-cow-ban cattle-and-bison-ranching activists blocking the pedestrian mall.’

 

Dabei würden dynamische Verben immer mehr durch statische Verbverkettungen verdrängt. Statt 'Er hat seine Arbeit verloren' heiße es jetzt 'Er wurde arbeitslos', statt 'Sie wurde Mutter eines unehelichen Kindes' liest man 'Sie wurde eine alleinstehende Mutter,' was ja eigentlich alles mögliche zwischen 'Sie hat ein Baby aus China adoptiert' und 'Sie hat ihren Ehemann ermordet' bedeuten könne. Aus der um sich greifenden Tendenz zur Nominalisierung und Bürokratisierung müsse man schließen, dass man nicht nur so schreibt, sondern auch genauso denkt.[5]

 

Zudem dringen ständig neue Worte in unsere Alltagssprache ein, die salopp von einer Sprache in die andere wandern und der Mode entsprechend versinnlicht werden. Was vorgestern schick war (Fr chic) und gestern super, das ist heute cool. Die Überflutung unserer Alltagssprache mit dem globalen Jargon geht Hand in Hand mit einer Verarmung der vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten, die unsere eigene Sprache bietet. 

 

Gedankliche und sprachliche Deformierung kommt denn auch in ungewollt ironischer Weise in einer Erklärung des Duden zum Modewort „Latte-macchiato-Mama“ im Newsletter vom 19.03.10 zum Ausdruck:

 

Moderne Mütter sitzen nicht mehr isoliert zu Hause und hüten ihr quäkendes Bündel. Statt sich dem Hausfrauendasein zu ergeben, leben sie einen neuen Lifestyle. Trendige Mamas verabreden sich zum Shoppen, hängen mit ihren Kindern stundenlang in Szenecafés rum und trinken Modekaffees. Die kleinen werden dabei gerne mit einem Kinderlatte, der nur aus Milchschaum besteht, ruhiggestellt. Gehäuft trifft man diese neue Müttergeneration in den Szenevierteln urbaner Metropolen, in denen Kinder mittlerweile zu einem echten Modeaccessoire und Statussymbol geworden sind.[6]

 

Die ‚trendige’ Tendenz zum ‚Shoppen’ als Ausdruck eines neuen Lebensgefühls der  modernen Mutter, die ihr Kind mit einem ‚Kinderlatte’ ruhigstellt, ist ein getreues Abbild einer Konsumgesellschaft, in der selbst ‚gestresste’ Mütter am ‚pursuit of happiness’ teilhaben. Wären die Kinder nicht ‚Modeaccessoir’ und Statussymbol, dann könnte man diese Emanzipation der modernen Mutter als echten Schritt zur Freiheit der Frau begrüßen.

 

 

 

Referenzen

 

 

Van Dijk, T. A. (1984). Prejudice in discourse, an analysis of ethnic prejudice in cognition and conversation. Amsterdam Philadelphia: J. Benjamins Co.

 

Van Dijk, T. A. (1987). Communicating racism: Ethnic prejudice in thought and talk. Newbury Park, CA: Sage Publications, Inc.

 

Van Dijk, T. A. (1988ª). News and Discourse. Hillsdale, N. J.

 

Van Dijk, T. A. van (1991). Racism and the Press. London, New York: Routledge.

 

Van Dijk, T. A. and W. Kintsch. (1983). Strategies of discourse comprehension. New York: Academic. 

 

Postman, N. (1986). Amusing Ourselves to Death. New York: Penguin.

 

 

Lörrach, den 21.03.10                                                                                                                                    Bernhard Wahr


 

[1] Discourse analysis of news is not limited to textual structures. We have seen that these structures express or signal various underlying meanings, opinions, and ideologies. In order to show how these underlying meanings are related to the text, we need an analysis of the cognitive, social, political, and cultural context. The cognitive approach is premised on the fact that texts do not have meanings, but are assigned meanings by language users, or, to be precise, by the mental processes of language users. In other words, we need to spell out the cognitive representations and strategies of journalists in the production of the news report and those of  the reader when understanding and memorizing it. (Van Dijk, T.A. News and Discourse. Hillsdale, N. J.1988a; vgl. auch Van Dijk and Kintsch. Strategies of discourse comprehension. New York: Academic, 1983.  

[2] Postman, N. Amusing Ourselves to Death. Introduction. Penguin Books, 1986.

[3] Huxley, A. Brave New World. Penguin Books, 1984.

[4]    Christian Science Monitor: March 11, 2004 in Blather Battles | By csmonitor.com staff | Permalink.

[5]   Ibid.: And look what’s happening to verbs – the ‘muscles’ of language. They’re being crowded out by more sedate linking-verb constructions. (Linking verbs used to be known as ‘copulative verbs’ before the snicker factor got to be too much.) ‘He lost his job’ often loses out to ‘He became unemployed.’ Instead of ‘Ace Insurance Agency serves the maritime industry,’ we often get, ‘Ace is a provider of insurance services to the maritime industry.’ Or we read that something has a ‘spillover effect’ on something else; why not just say, ‘It spills over’ onto whatever? Is an unadorned intransitive verb just too intense? One of my favorites is ‘She became a single parent.’ This can mean anything from, ‘She adopted a baby from China.’ to ‘She murdered her husband.’ “What's going on here? I think people are using more nouns and fewer verbs because they’re thinking that way. This pattern makes for language that's more static, less dynamic – not a good thing. Why categorize along bureaucratic lines? We used to say, ‘He’s got the fidgets’; now we say, ‘He has attention-deficit disorder.’

[6] Vgl. Duden. Das neue Wörterbuch der Szenesprachen. Mannheim, 2009.

 

Copyright © 2010 SPRACHENSERVICE WAHR

All rights reserved. Apart from any fair dealing for the purposes of research or private study, or criticism or review, no part of this article may be reproduced, stored or transmitted in any form or by any means without the prior permission in writing from the publisher. 

 

 

TOP

 

  Materialien